Das symbolhafte Verschwinden von Sombath Somphone

SudwindSüdwind: 11 November 2014

Die verschwundene Hoffnung

Vor knapp zwei Jahren verschwand Sombath Somphone in seiner Heimat Laos spurlos. Die Geschichte des Enwicklungspädagogen erzählt viel über Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlichen Engagements in dem kleinen südostasiatischen Land.
N. N.*

Seit 15. Dezember 2012 fehlt von Sombath Somphone jede Spur. Der Winter ist in Vientiane eine willkommene, wenn auch nur kurze Erholung von Hitze und Regen. Zwischen November und Jänner wird es in der Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Laos für ein paar Wochen angenehm frisch. Der Abend des 15. Dezember ist ein solcher lauer Winterabend. Sombath Somphone – Agrarexperte und Pädagoge – setzt sich in seinen Jeep und macht sich auf den Weg nach Hause. Entlang der Thadeua Road leuchten die neuen Botschaften, Büros, Restaurants und Geschäfte der Stadt in schimmerndem Orange. Sombath kennt Vientiane noch aus ganz anderen Zeiten.

Nach dem Ende des Vietnamkriegs 1975 übernehmen die KommunistInnen die Macht in Laos. In den biederen ersten Jahren ihrer Herrschaft verschwindet die Farbe aus der damals noch verschlafenen Kleinstadt Vientiane. Bunte Kleidung und Make-up sind als Ausdruck westlicher Dekadenz verpönt. Die EinzelhändlerInnen im Stadtkern schließen ihre Läden. Ein Fünftel der Bevölkerung flieht vor wirtschaftlicher Not und politischen Repressionen ins Ausland. Der Mekong wird zum eisernen Vorhang Asiens. Ausgerechnet zu dieser Zeit kehrt Sombath aus den USA in seine Heimat zurück. Er hatte Anfang der 1970er Jahre im damals noch königlichen Laos ein Stipendium zum Studium der Erziehungs- und Agrarwissenschaften an der Universität in Hawaii erhalten. Nach seinem Abschluss hat Sombath gute Aussichten, als politischer Flüchtling in den USA bleiben zu dürfen. Dennoch entscheidet er sich 1978 für die Rückkehr in sein kriegszerstörtes Heimatland. Sombath fühlt sich verpflichtet, sein erlerntes Wissen einzubringen, um beim Wiederaufbau zu helfen, gerade weil die wenigen gebildeten Leute Laos in Strömen verlassen. Sombath schwimmt gegen den Strom.

An der Ecke zur Lao-Thai Road wird Sombath von Polizisten herangewunken: Verkehrskontrolle. Er parkt seinen Jeep und geht zum kleinen Polizeihäuschen am Straßenrand. Sekunden später eilt ein schwarz gekleideter Mann herbei und fährt Sombaths Jeep weg. Kurz darauf hält ein weißer Pickup vor dem Polizeihäuschen. Sombath, von zwei Männern eskortiert, tritt heraus und steigt ein. Der Pickup fährt mit blinkenden Lichtern fort. Trotz oft unterschiedlicher Sichtweisen hat Sombath immer auf Kooperation mit den Behörden -gesetzt.

1977 hatte die laotische Regierung mit der Kollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild begonnen. Sombath glaubt hingegen, dass das traditionelle Wissen der Kleinbauern und -bäuerinnen die Basis für die Zukunft des Landes bilden sollte. Viele seiner Ideen zu Nachhaltigkeit und Ökologie werden von den Behörden nicht verstanden. Manchmal muss er jahrelang auf Genehmigungen für seine Projekte warten. Doch Sombath bleibt geduldig. Die Zeit ist auf seiner Seite. Die Kollektivierung löst Widerstand unter der zu 90 Prozent ländlichen Bevölkerung aus. Sie wird zum politischen Risiko für die Machthaber und Anfang der 1980er Jahre abgebrochen. 1986 folgt Laos seinem „großen Bruder“ Vietnam und beginnt mit marktwirtschaftlichen Reformen. Westliche Entwicklungshilfe drängt ins Land. 1994 wird eine mit australischen Geldern gebaute Brücke über den Mekong nach Thailand eröffnet. Thailändische Konsumgüter, TouristInnen und zurückkehrende ExilantInnen bringen neue Farben und Ideen nach Laos. Auch für Sombath bieten sich neue Möglichkeiten. 1996 erhält er die Genehmigung zur Eröffnung einer Privatschule. Zusammen mit seiner Frau Shui Meng Ng gründet er in Vientiane das „Participatory Development Education Centre“ (PADETC).

Als Sombath im Laufe des Abends des 15. Dezember nicht nach Hause kommt, wird seine Frau unruhig. Sie versucht, ihn anzurufen, doch Sombaths Mobiltelefon ist ausgeschaltet. Am nächsten Morgen gibt Shui Meng Ng eine Vermisstenanzeige auf. Als sie in der örtlichen Polizeibehörde die Aufzeichnungen der Verkehrs-Überwachungskameras anschauen darf, sieht sie, wie ihr Mann in dem weißen Pickup verschwindet. Geistesgegenwärtig filmt sie die Szene mit ihrem Handy ab. Die Originalbänder darf sie nicht mitnehmen.

Was in Laos geschieht, interessiert die Weltöffentlichkeit selten. 1997 rückt der Beitritt zur Staatengemeinschaft ASEAN das Land etwas ins Scheinwerferlicht. Die Regierung öffnet das Land für ausländische Investoren und sucht die Anbindung an die sich industrialisierenden Nachbarn Thailand, Vietnam und China. Peking vergibt Kredite zum Ausbau der Infrastruktur; Laos darf diese auch in Rohstoffen zurückzahlen. Holz, Zinn, Gold, Kohle und Agrarprodukte machen ihren Weg über frisch geteerte Straßen nach Norden. Wasserkraftwerke werden gebaut, der Strom wird auf riesigen Kabeltrassen nach Thailand exportiert. Wälder und Reisfelder der Kleinbauernschaft werden durch Kautschuk- und Maniokplantagen ersetzt. Seit der Jahrtausendwende wächst die laotische Volkswirtschaft um ca. 8% pro Jahr. Vientiane wird zur Boomtown am Mekong.

Der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu bei einem Treffen mit Sombath Somphone (re.).
Der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu bei einem Treffen mit Sombath Somphone (re.).

Sombath begrüßt den wirtschaftlichen Aufschwung prinzipiell. Er weiß, dass Laos dringend Geld braucht: zum Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens, zur Bekämpfung von Armut, Unterernährung und Opiumsucht. Gleichzeitig macht er sich Sorgen über die Fetischisierung von Wachstumszahlen, über zunehmende Ungleichheit, Ausbeutung der Umwelt, Materialismus und die Aushöhlung traditioneller Werte. Das Schicksal der vielen Kleinbauern und -bäuerinnen, die mit zu wenig oder keiner Kompensation ihr Land verlieren, beschäftigt ihn sehr. Sombath ist überzeugt, dass nachhaltige Entwicklung nur im Einklang mit Kultur, Umwelt und sozialer Gerechtigkeit zu erreichen ist. Beruhend auf den Prinzipien des Quäkertums, des engagierten Buddhismus und des Bhutanischen Modells der Gross National Happiness entwickelt Sombath eine eigene Entwicklungspädagogik. Sein Zentrum bildet junge LaotInnen in der partizipativen Sozialarbeit aus, berät Klein- und ÖkolandwirtInnen und initiiert etwa Projekte zur Mülltrennung in Vientiane. Sombath arbeitet dabei stets in enger Kooperation mit den zuständigen Behörden; er findet zunehmend UnterstützerInnen in der Regierung.

In den Tagen nach dem 15. Dezember 2012 verbreitet sich die Nachricht von Sombaths Verschwinden wie ein Lauffeuer durch Laos. Am 19. Dezember nimmt die Polizei erstmals Stellung: Sombath habe nach einer routinemäßigen Verkehrskontrolle seine Papiere zurück erhalten, die zuständigen Beamten hätten nicht mitbekommen was danach mit ihm passiert sei. Die von Shui Meng Ng im Internet veröffentlichten Bilder der Überwachungskameras erzählen eine andere Geschichte.

Sombaths Verschwinden rüttelt das Land auch deshalb auf, weil er lange Zeit sehr präsent in der Öffentlichkeit war. 2005 hatte er den „Ramon Magsaysay Award for Community Leadership“ erhalten, die höchste Auszeichnung für soziales und zivilgesellschaftliches Engagement in Asien; manche nennen ihn auch den „Friedensnobelpreis Asiens“. Sombath ist erst der zweite Laote, der diese Auszeichnung erhält, und der erste in der Geschichte der Demokratischen Volksrepublik. Das ganze Land ist stolz auf die internationale Würdigung; Sombath wird zum Vorzeigebürger und Sympathieträger. Er hält Vorträge, gibt Interviews, trifft den südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu. Ein Besuch bei PADETC wird zum Pflichttermin für neu ankommende EntwicklungshelferInnen, NGO-MitarbeiterInnen und DiplomatInnen in Laos.

Anfang 2013 gibt die Polizei weitere Informationen zum Verschwinden Sombaths; es wird nun behauptet, dass es unklar ist, ob der Fahrer des Jeeps überhaupt Sombath gewesen sei; eine eventuelle Entführung hätte aber ausschließlich „persönliche oder geschäftliche Gründe“. Mehrere Staaten bieten den Behörden Unterstützung bei der Analyse der Verkehrsüberwachungsvideos an. Die Regierung lehnt dies als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ ab. In der kleinen laotischen Zivilgesellschaft geht die Angst um.

Das Tauwetter hatte nur wenige Jahre gewährt. 2009 ermöglicht die laotische Regierung erstmals die Zulassung lokaler NGOs. Im Zuge des Wirtschaftsbooms ist in Vientiane und anderen Städten eine kleine Mittelschicht entstanden; sie sucht zaghaft nach Mitsprachemöglichkeiten. Die Nationalversammlung, früher auf das Absegnen von Politbürobeschlüssen beschränkt, wird zum Ventil für vorsichtige Kritik an der Regierung. Junge, urbane LaotInnen nutzen zunehmend Radio und Internetforen, um Gedanken zur Entwicklung ihres Landes auszutauschen. Im Oktober 2012 findet in Vientiane das 9. Asia-Europe People’s Forum statt. Es ist das größte zivilgesellschaftliche Ereignis in der Geschichte der Demokratischen Volksrepublik und wird von vielen BeobachterInnen als Bestätigung einer neuen Weltoffenheit und Toleranz der laotischen Regierung gesehen. Sombath ist einer der Hauptorganisatoren. NGOs, AktivistInnen, MenschenrechtlerInnen und JournalistInnen aus ganz Europa und Asien nehmen teil. In dem Forum werden in einer in Laos noch nie da gewesenen Offenheit heikle Themen wie Zwangsumsiedlung, Vetternwirtschaft und Umweltzerstörung angesprochen. Einige laotische TeilnehmerInnen sind zwar durch die Präsenz stillschweigender Männer im Publikum verunsichert, dennoch verläuft das Forum ungestört. Der Dokumentarfilm „Happy Laos“ wird gezeigt. In ihm sprechen einfache laotische BürgerInnen darüber, was „Glück“ für sie bedeutet und wie sie mit den rasanten Veränderungen in ihrem Land umgehen. In einer feierlichen Abschlusszeremonie übergibt Sombath die gesammelten Forumsbeiträge an den stellvertretenden laotischen Außenminister. Der Minister bedankt sich bei seinem langjährigen Freund für die Organisation des Forums. In seiner Rede sagt Sombath: „Das Hören der Stimme des Volkes ist der erste Schritt hin zur Veränderung der Machtstrukturen.“ Wenige Wochen später steigt er an jenem lauen Winterabend in seinen Jeep.

Am 15. Dezember 2012 endet für viele der Glaube an einen politischen Frühling in Laos. In den darauffolgenden Monaten wird die Überwachung lokaler und internationaler NGOs verschärft. Kritische Rundfunkprogramme werden abgesetzt. Einige TeilnehmerInnen des Asia-Europe People’s Forum verlassen das Land. Ein langjähriger Beobachter resümiert Ende 2013: „In den letzten zwei Jahrzehnten gab es jedes Jahr einen kleinen Schritt nach vorne, dieses Jahr haben wir einen großen Sprung nach hinten gemacht.“ Seit September 2014 ist es ein Verbrechen, die Regierung im Internet zu kritisieren. Zur Zeit wird an einem neuen NGO-Gesetz gearbeitet.

Bis heute fehlt jede Spur von Sombath Somphone. Shui Meng Ng gibt aber die Hoffnung nicht auf, dass ihr Mann noch am Leben ist und eines Tages nach Hause kommt. Unermüdlich reist sie um die Welt und hält Vorträge über seine Philosophie und Arbeit. Im Oktober 2014 hält sie auf dem 10. Asia-Europe People’s Forum in Mailand, Italien, die Eröffnungsrede.

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